Grenzsituationen, Klettern in der Schweiz (Tällisteig)

Die Verabredung

Ich guckte noch einmal auf das Display meines Notebooks um zufrieden festzustellen, dass das Wetter für das kommende Wochenende gut sein wird. Ich stand auf, ging zum Fenster und holte tief Luft um diese dann geräuschvoll wieder in die Freiheit zu entlassen. Ein herrlicher Tag! Mit dem Wissen von gutem Wetter ging ich zum Telefon um meinen Freund Andreas anzurufen.

Andreas und Eric

Ich habe ihn erst im letzten Jahr in einem Geschäft für Outdoor- und Sportartikel kennen gelernt. Er war dort Verkäufer. Seit einiger Zeit arbeite er jetzt in der Schweiz. Nach der Beendigung seines Studiums hatte er in unserer Stadt keine Arbeitsstelle gefunden. In der Schweiz ist er jetzt für ein Unternehmen tätig, welches Outdoor – Bedarf herstellt. Er ist ein leidenschaftlicher Sportler, Kletterer und somit in der Schweiz bestens aufgehoben. Das machte für ihn den Abschied von der Heimat nicht allzu schwer.

Ich wählte seine Telefonnummern und nach kurzem klingeln meldete er sich. Nach allgemeinen Austausch fragte ich ihn, was er davon hält, wenn ich ihn am kommenden Wochenende besuchen würde. Er freute sich riesig über diese Idee und versprach mir ein interessantes Wochenende.

Nach Beendigung des Telefonats guckte ich nach einer günstigen Gelegenheit, um in die Schweiz nach Basel zu gelangen. Trotz BahnCard waren die Fahrtkosten mit der Deutschen Bundesbahn immens hoch. Mit der Bahn zu fahren scheint nur noch was für besser gestellte Menschen zu sein. Über das Portal www.megaflieger.de suchte ich nach einer Flugverbindung von Deutschland nach Basel. Schnell wurde ich fündig und beschloss, von Berlin Schönefeld nach Basel zu fliegen. Nach Berlin geht es mit meinem PKW. Über www.mitfahrgelegenheiten.de werde ich noch versuchen Mitfahrer zu finden, was in der Regel kein Problem ist. So kann ich die Reisekosten senken. Oftmals findet auch ein interessanter Austausch statt.

Schon am nächsten Tag erhielt ich von Andreas eine E-Mail mit Informationen für das geplante Wochenende. Alles sorgfältig ausgearbeitet. Fahrpläne der Verkehrsmittel von Basel und Informationen über den Tällisteig in den Schweizer Bergen. Das Kletterziel ist der Tällistock auf 2580 Meter Höhe. Los geht es bei der Tällihütte auf ca. 1980 Meter. An sehr kritischen Stellen ist ein Sicherungsseil gespannt. Später sollte ich feststellen, dass es ein wenig mehr Seil hätte sein können. Teilweise befinden sich Stahlleitern auf Senkrechter Wand, die nach oben und unten einfach nur glatt ist. Hier und da sind Stahlstifte einbetoniert. Wahlweise für die Hand und als sicheren Halt für den Fuß, wenn nur noch Steilwand vorhanden war. Für den mittelschweren Klettersteig wird Trittsicherheit, gute Kondition und Schwindelfreiheit vorausgesetzt.

Route

Es sollte also eine Klettertour werden. Nachdem ich mir die Informationen über den Tällisteig angesehen hatte, wusste ich nicht so recht, was ich von dieser Idee halten sollte. Schon seit langem komme ich mit Höhe nicht so wirklich klar. Andererseits ist da aber auch wieder der Reiz, an die psychischen und physischen Grenzen zu gehen. Das war verlockend. Allerdings an diese Grenzen zu kommen hoch oben an einem Berg schien mir doch ein wenig… bizarr. Ich bat Andreas um ein wenig Bedenkzeit. Zwei Tage später willigte ich dann schließlich mit der Option ein, dass ich eventuell kurzfristig abbrechen darf. Das war für ihn okay. Er benannte mir anschließend noch notwendige Ausrüstung, die ich für das Wochenende benötige. Da ich mich schon längere Zeit im Outdoorbereich bewege, hatte ich alle benötigten Ausrüstungsgegenstände bereits zu Hause. Es folgte nur ein Funktionscheck.

Die Reise

Schließlich war der Tag der Abreise gekommen. Ich packte meinen Rucksack ins Auto und merkte dabei Nervosität. Hatte ich mich richtig entschieden? Wie wird Andreas reagieren wenn ich ihm sage, dass mir das Klettern doch ein wenig zu heftig erscheint? Was macht das mit mir selbst, wenn ich abbreche?

Ich hatte drei Mitfahrer für Berlin gefunden, die ich am Bahnhof abholte. Die waren zum Glück gesprächig und lenkten mich mit meinen Gedanken ab. Nachdem ich diese in Berlin abgesetzt hatte, suchte ich für mein Auto eine kostenlose Parkplatzmöglichkeit in der Nähe des Flughafens. Nachdem ich diese gefunden hatte, fuhr ich mit dem Linienbus zum Airport Schönefeld. Als ich den Bus einstieg grüßte ich den Busfahrer. Der strahlte daraufhin mich an und sagte mir, dass ich einen vergünstigten Fahrschein bekomme. Ich bedankte mich und mir viel eine Situation ein, die ich vor einiger Zeit erlebt hatte. Da bestieg ich auch einen Linienbus der Berliner Verkehrsbetriebe und grüßte ebenfalls den Fahrer. Der guckte mich etwas verwirrt an und sagte schließlich: „Sie fahren wohl nicht so oft mit dem Bus!“ Als ich fragte warum entgegnete dieser, das man den Busfahrer für gewöhnlich nicht grüßt. Ich lächelte ihn an und sagte, dass es wohl Zeit wäre, das sich was ändert.

Überrascht war ich, als ich in einen Linienbus in Neuseeland einstieg. Da wird der Busfahrer grundsätzlich begrüßt und verabschiedet mit: „Hello“ und „Thank you bus driver“!

Am Flughafen angekommen verabschiedete auch ich mich vom Busfahrer und ging zu meinem Terminal, um mein Gepäck einzuchecken. Es war nicht viel los und bin somit schnell meinen Rucksack losgeworden. Bis zum Abflug schlenderte ich noch ein wenig draußen vor dem Flughafen herum. Der spätere Check In lief chaotisch ab wie immer. Die Menschenmasse war in drei Kategorien unterteilt. A, B und C. A sollte zum Ausgang kommen und als wenn man sich die reservierten Plätze erkämpfen müsste schossen alle zum Ausgang. Ich versuchte mich mit meinem A nach vorne zu kämpfen. Ein älterer Herr versperrte mir noch den Weg zum Ziel. Er stand den halben Zugang blockierend vor mir. Ich fragte ihn, ob er auch ein A auf seinem Ticket hatte und wenn nicht, ob ich vielleicht vorbei könnte. Er guckte mich langsam an, und trat noch langsamer zur Seite. Ein Untoter hätte es nicht besser machen können. Ich kämpfte mich noch durch den letzten Blödhaufen Mensch. Dann war es geschafft. Der Flug war prima. An dem Laufband der Gepäckausgabe noch ein kurzer Auftritt der Säugetiere welche glauben, die Welt beherrschen zu können. Sie versuchten eine undurchdringliche Mauer am Gepäckband zu schaffen. Dicht an dicht mit den Unterschenkeln an der Anlage. Mir gelang es trotzdem meinen Rucksack zu sichten und bat darum vortreten zu dürfen. Dieser Wunsch wurde mir in der Manier eines Untoten erfüllt. Ich bestieg einen Bus der mich in die Stadt fahren sollte. Stehend vor dem Busfahrer fragte ich nach einem Fahrschein. Den, erfahre ich, hätte ich vor Fahrantritt kaufen müssen. Aha! Und nun? „Setzen sie sich hin und entspannen sie sich.“ Das kann ich, dachte ich und folgte dieser Aufforderung. Im Stadtzentrum stieg ich aus. Den Rest der Strecke zur Wohngemeinschaft (WG) ging ich zu Fuß. Ich überquerte eine Brücke, unter der der Rhein fließt. Ich verbrachte eine ganze Weile auf der Brücke. Ich war überrascht, wie sauber das Wasser ist und noch mehr überrascht, das Personen sich in dieser starken Strömung treiben ließen. Baden war hier tatsächlich erlaubt. Später erfuhr ich von Andi, dass er mit einem Kumpel vor kurzem von der Brücke in den Fluss gesprungen ist. Eine halbe Stunde später bin ich bei Andi angekommen. Er stellte mir ein paar Leute seiner WG vor. Im Wohnzimmer der WG konnte ich mein Lager aufschlagen.

Basel erkunden

Am nächsten Tag nahm ich Andis Fahrrad und erkundete die Umgebung. Ich war erstaunt, das Benzin viel preiswerter ist als bei uns. Das war aber auch das einzige. Hier kann man Geld lassen.

Abends machten wir einen Ausrüstungscheck und besprachen die kommenden Tage.

In die Berge

Am nächsten Tag trafen wir uns am Bahnhof SBB in Basel und fuhren von da mit dem Zug nach Meiringen. Von da sollte es eigentlich mit dem Postauto (kleine oder große Busse die Post und Personen befördern) zum Gadmertal gehen. Das letzte Postauto hatte aber bereits das Dörflein verlassen. Also mussten wir hier erst einmal übernachten. Ich sprach eine junge Frau an, die gerade an mir vorbei kam und schilderte ihr unser Problem. Sie empfahl uns die Jugendherberge. Sie fuhr in Richtung Herberge und bot an, uns mitzunehmen. Freudig nahmen wir das Angebot an. In der Jugendherberge angekommen mussten wir aber feststellen, dass diese recht teuer ist. Also wieder raus auf die Straße. Wir beschlossen, mit einem Taxi uns ins nächste Dorf mit dem Namen Innertkirchen fahren zu lassen. Eine entsprechende Telefonnummer hat der gut organisierte Andreas dabei. Er verabredete einen Treffpunkt. Tja, und dann warteten wir und warteten und warteten… Nichts geschah. Ich überredete dann Andreas, zu Fuß zu gehen. Er war zunächst recht widerspenstig, willigte aber dann ein. Inzwischen war es 22:00 Uhr. In der Hoffnung, dass uns evtl. ein Auto mitnimmt, hielt ich den Daumen heraus. Und siehe da, nach 10 min hielt sogar ein Fahrzeug an. Wir konnte es nicht glauben. Am Tage war dies ja schon ein schwieriges Unterfangen. Es stieg ein älterer Herr aus der uns mitteilte, dass wir das seiner Frau zu verdanken haben. Die nimmt immer Anhalter mit. Auf der Fahrt stellten wir fest, das es bis nach Innertkirchen noch ein ganzes Stück war und somit froh über diese Mitfahrgelegenheit. Es gab hier drei Campingplätze und wir wurden auf den gefahren, der am nächsten an der Poststation und somit zu unserer nächsten Mitfahrgelegenheit ist. Wir bedankten uns noch einmal für die Fahrt und betraten den Campingplatz, auf dem bereits Nachtruhe war. Leise bauten wir unser Zelt auf, pinkelten gegenüber an einen Bahndamm und rutschten umgehend in die Schlafsäcke. Morgenfrüh um 5:50 Uhr war Aufstehen angesagt.

Der Wecker klingelte pünktlich, wir standen aber nicht pünktlich auf. So ging es dann doch ein wenig in Hektik über, als wir erneut auf die Uhr sahen und feststellten mussten, dass unser Postauto in 20 min an der Haltestelle ist. Wir schossen aus dem Zelt. Gestern waren wir die letzten und heute die ersten. Die Aufsicht des Campingplatzes schlief auch noch, denn wir konnten uns ohne einen Cent zu bezahlen verdrücken. Die Routine beim Packen und gegenseitige Hilfe ließ uns in Rekordzeit an der Haltestelle sein. Der Bus war noch nicht da und Andreas nutzte die Gelegenheit, sich in einem Geschäft mit Proviant einzudecken, obwohl ich der Meinung war, das wir durchaus genug hatten. Andreas muss irgendwann wohl mal fürchterlich Hunger gelitten haben.

Schließlich kam das Postauto. Wir waren die einzigen Gäste, was um diese Zeit mir nicht verwunderlich erschien. Die Fahrt dauerte ca. 30 min und wir waren am Ziel, der Seilbahn. Diese sollte uns hoch zur Tällihütte bringen. Wir waren ein wenig zu früh dran. Die Bahn war noch nicht in Betrieb. Das sollte sich auch erst in 45 min ändern. So beschlossen wir erst einmal zu frühstücken.

Beim Frühstück guckte ich ab und zu skeptisch den Berg hinauf.

Der Sturz

Schließlich stiegen wir in die Seilbahn und es ging hoch zur Tällihütte. Andreas war schon ganz „heiß“. Er wollte so schnell wie möglich in den Berg. Ich hatte aufgrund meines doch eher flauen Gefühls es nicht so eilig. Wir ließen div. Gepäck an der Hütte und machten uns mit dem Notwendigsten auf den Weg. Wir liefen bis zum Fuß des Berges und standen vor einer Schneewand, die überquert werden wollte. Hier ging es auch los mit den ersten Sicherungsmaßnahmen. Das war noch recht entspannt. Aber dann ging es in den Berg und so langsam wurde mir klar, auf was ich mich hier eingelassen hatte. Mit zunehmender Höhe fragte ich mich, wie ich nur zu dieser Tour zustimmen konnte.

Aufstieg

Ab und zu waren keine Sicherungsseile vorhanden, und ich musste dann einen schmalen Weg von vielleicht 30 cm breite ungesichert gehen. Nach den 30 cm ging steil Bergab. Dann fehlte der Weg ab und zu ganz und stattdessen waren Metallstifte von ca. 2cm Stärke in den Berg gehauen, auf die ich treten konnte. Mit den Händen versuchte ich mich am Berg festzuhalten, was mir eher nicht gelang. Ich hatte versucht nicht in die Tiefe zu gucken. Aber an diesen Stellen ließ es sich nicht verhindern. Wieder verfluchte ich die Idee, diese Tour zu machen. Ich sah einen Hubschrauber in der Ferne. Wenn der mich nur retten würde, dachte ich mir. Aber in so ein Rettungsseil vom Hubschrauber möchte ich mich auch nicht unbedingt fallen lassen wollen. Manchmal dachte ich auch an Umkehr. Aber wie jeder weiß, ist das hinunter Klettern noch viel schwieriger. An einer Stelle wollte Andreas die schöne Aussicht mit mir genießen. Er stand an der einer Kante des Berges und es ging steil hinab. Er versuchte mich für die tolle Aussicht zu begeistern. Ich winkte ab. Ich wollte nur weiter. Ich ließ ihn stehen und sagte ihm noch, dass er sich Zeit lassen könne. Aber ich gehe weiter. Andreas als Profi hatte mich bald eingeholt und wir kletterten wieder gemeinsam am Berg. Plötzlich sahen wir beide etwas hinter uns von oben nach unten stürzen. Sekunden, die mir wie Minuten vorkamen sagte keiner etwas. Dann unterbrach Andreas die Stille. Und das was er sagte schockierte mich Maslos! „Da ist gerade jemand abgestürzt“, sagte er. Ich wollte das eigentlich bejahen. Aber das konnte und wollte ich nicht. Ich sagte: „Vielleicht war es nur Schnee vom Gipfel, der hinab stürzte“. Obwohl ich die Wahrheit wusste, gingen mir nur diese Worte über die Lippen. Ich merkte wie mir die Hände schmerzten. Ich guckte sie an und stellte fest, dass ich krampfend das Sicherungsseil in der Hand hielt. Ich hielt es so sehr fest, das man denken mochte, das ich es durch meine Finger quetschen möchte. Andreas widersprach meiner Idee mit dem Schnee und machte klar, dass ein weiterer Einwand keinen Sinn hätte. Da war gerade ein Mensch an uns vorbei gestürzt. Kein Schrei war vom stürzenden zu hören. Nur das Flattern der Kleidung im Wind, was ich immer noch zu hören glaubte. Ich wollte es weiterhin nicht war haben, sagte aber nichts mehr. Andreas wollte schließlich versuchen per Handy Hilfe zu holen. Ich sagte ihm, dass es wohl nicht viel Sinn macht. Denn bei einem Sturz aus dieser Höhe wird sicherlich jede Hilfe zu spät kommen. Andi pflichtete mir bei und wir setzten unsere Kletterpartie ohne Telefonat fort. Ich kletterte sehr langsam. Andi erduldete meine Kriecherei. Überhaupt war sein Verhalten am Berg, so weit ich das als Laie beurteilen kann, sehr professionell. Dann kam das, was kommen musste. Hinter uns tauchten andere Bergsteiger auf, die wesentlich schneller unterwegs waren. Als sie uns erreichten fragten sie uns aufgeregt: „Habt ihr auch den Basejumper gesehen?“ Ich dachte, ich höre nicht richtig und fragte noch einmal nach. „Ob wir was gesehen haben?“ Die Antwort kam prompt. „Na den Basejumper, der hier am Steig vorbeigestürzt ist!“ Ich war für ein paar Sekunden still. Ich fragte dann, ob sie gesehen haben, ob sich der Fallschirm von ihm geöffnet hat. Wie selbstverständlich ertönte die Antwort. „Na klar hat sich der Fallschirm geöffnet!“ Dann stutzte der Mann, der zu uns gesprochen hatte und fing an zu grinsen. „Ihr habt doch nicht etwa gedacht, das da einer abgestürzt ist oder?“ Nun, um die Sache abzukürzen, am Ende des treffens habe wir alle gelacht. Andreas und ich setzten erleichtert das Klettern fort. Es schien jetzt einfacher Richtung Gipfel zu gehen, den wir 30 min später erleichtert erreichten. Ich genoss die super Aussicht von hier und meine erbrachte Leistung.

Gipfelfoto

Der Abstieg auf der Rückseite führte uns noch mal über ein großes steiles Schneefeld. Auch hier mussten wir aufpassen. Ein Ausrutschen hätte zur Folge gehabt, das man nach ca. 100 Meter gegen einen Felsen gestürzt wäre. Nachdem wir eine Wunderbare Landschaft durchquert hatten erreichten wir völlig fertig die Tällihütte, in der wir mit gutem Essen und einem Nachtlager versorgt wurden.

Andreas, hab Dank, das du so geduldig mit mir warst!

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